- Schatulle, der 6AG7-Spud-Amp -



Beim Schoppen auf ebay fiel mir durch Zufall ein kleines Gehäuse auf, eine indische Schmuckschatulle in etwas ausgefallenem Design, mit Schnitzereien und eingearbeiteten Messingintarsien. Ein ideales Gehäuse für einen kleinen Verstärker und zudem nicht zu teuer. Also gekauft und überlegt, was man denn in das kleine Gehäuse einbauen könnte. Für einen richtig großen Verstärker mit vielen Röhren war es viel zu klein, übliche Aufbauten mit Verbundröhren wie ECL86 etc. wollte ich nicht, was dann die Überlegungen schnell in Richtung "Spud" beflügelte. Eines jedenfalls war klar: Hier gibt es keinen mm³ Platz zu verschenken. Dann kam das Gehäuse endlich an und so sah es aus:


Schatulle


Innen war ein Spiegel eingeklebt und das ganze Ding mit einer Art roter Samtimitation versehen. Zudem verteilte es einen penetranten Gestank, weshalb ich als erstes Spiegel und Samtzeugs herausgerissen und das Ding zum Ausdünsten ein paar Tage nach draussen verbannt habe. Der Gestank kam aber nicht vom Samt sondern direkt vom Holz, wie ich bei den späteren Bohrarbeiten feststellen musste. Das Gehäuse von innen:


Schatulle


Schnitzereien und Messingeinlagen auf dem Deckel:


Schatulle






In der Zwischenzeit hatte ich einige Abende damit verbracht Datenblätter zu wälzen und geeignete Röhren für einen Spud zu finden. Die üblichen Verdächtigen wie E55L (zu teuer), 6C45 (zu wenig Leistung) oder E130L (zu gross und zuviel Leistung) wollte ich aus verschiedensten Gründen nicht nehmen. Gefunden habe ich dann die 6AG7, eine steile Breitbandpentode mit 9W Anodenverlustleistung. Es ist eine amerikanische Stahlröhre mit Octalsockel, die aber auch von den Russen gefertigt wurde. Ausserdem wurde sie noch in der DDR hergestellt. Die RFT-Röhre ist aber keine Stahlröhre sondern eine Glasröhre mit übergestülptem Schutzblech, sie lässt sich daher "ausziehen".

Links eine GE-6AG7, daneben die RFT-Variante, ganz rechts eine "ausgezogene" 6AG7. Leider ist die Röhre weitestgehend verspiegelt und läst daher keine Einblicke auf die Katode zu.


6AG7


Die 6AG7 sollte eigentlich gut passen, denn auch die übrigen Komponenten wie Netzteil und AÜs müssen ja platzmässig noch mit in das Gehäuse passen. In meinem Fundus befanden sich sogar zwei halbwegs brauchbare 6AG7 von RCA und eine leider vollkommen verbrauchte von RFT. Für die ersten Versuche sollte das aber reichen. In den folgenden Abenden wurde ein Probeaufbau erstellt und die groben Eckdaten bestimmt. Dann ging es an die Bauteilesuche im heimischen Lagerbestand. Was lässt sich verwenden, und wie im Gehäuse platzieren? Viel Überlegung und manches hin-und her schieben, Deckel auf, Deckel zu, passt oder passt nicht..... und manchmal musste die Schaltung auch wieder an die Bauteile angepasst werden. Die ganze Aktion hat etliche Abende an Zeit gekostet, denn es gab ja auch noch Sonderwünsche wie die EM83 oder ein Poti mit Abgriff und Schalter.... Nun konnte mit dem Bau begonnen werden. Das nächste Bild zeigt den fertigen Verstärker von innen:


Schatulle offen


Als Chassis dient ein L-förmig gebogenes Aluminiumblech, auf dem Netztrafo, Drosseln und die beiden AÜs montiert sind. Wegen der räumlichen Nähe zu den AÜs wurde ein Trafo mit Schnittbandkern gewählt (geringes Streufeld). Der Trafo ist allerdings absolut überdimensioniert, wird dafür aber auch nicht sonderlich warm. Damit die Kiste kein Schwitzkasten wird sind zusätzlich im Boden und der Rückwand Löcher zur Belüftung gebohrt. Die beiden AÜs sind selbstgewickelt und nutzen den Platz bestmöglich aus. Es sind EI60 mit einer Paketstärke von 30mm statt der üblichen 20mm. Die exakte Einbauposition wurde experimentell mittels Kopfhörer ermittelt (minimale Brummeinstreueung). Vorn in der Mitte ist das Lautstärkepoti mit Schalter. Es war ziemlich fummelig einzubauen und zu verlöten. Ohne Pinzette ging da garnichts! Zudem musste die Achse verlängert werden. Links und recht davon sind noch zwei kleine Siebdrosseln, ganz rechts die Sicherung für die Anodenspannung.


Schatulle Boden


Im rechten hinteren Teil befindet sich die netzseitige Sicherung mit einem zusätzlichen PTC zur Einschaltstrombegrenzung.


Schatulle Sicherung


Im Deckel geht es auf den ersten Blick etwas geräumiger zu. Dem ist aber nicht so. In vielen Bereichen kann man keine Bauteile platzieren sonst gibt es Kollisionen mit den Komponenten im Bodenbereich. Unten links und rechts sind die beiden Fassungen für die 6AG7 mit der erforderlichen Beschaltung. Oben, in der Mitte, der Sockel nebst Beschaltung für die EM83. Rechts davon die Sicherungen für die beiden Kanäle. Die Heizleitungen sind verdrillt, die NF-Eingangsleitungen abgeschirmt verlegt.


Schatulle Deckel


Den Aufbau hatte ich ursprünglich mit normalen 6AG7 ausgeführt. Die Wärmeabstrahlung der "ausgezogenen" 6AG7 ist aber völlig anders, sie erhitzten den Deckel der Schatulle enorm. Daher habe ich Adapter angefertigt um die 6AG7 höher zu setzen. Diese Massnahme reduzierte die Wärmeabstrahlung auf den Deckel gewaltig.


Schatulle gesamt


Die Schatulle von vorne:


Schatulle von vorne


Aus einem Stück alten Messingblech habe ich noch ein Schildchen geätzt und passend gebogen:


Schatulle Schild


Die Rückseite des Verstärkers mit den Anschlussbuchsen:


Schatulle von hinten


Der Schaltplan:


Schaltplan






Frank Kneifel war so nett den Verstärker einmal für mich durchzumessen. Nachfolgend die entsprechenden Messreihen und Franks Kommentar dazu:

Der Frequenzgang am Lastwiderstand ist ordentlich, an der komplexen Last (Lautsprecher) sieht man, dass der Verstärker recht hochohmig ist (Pentode ohne Gegenkopplung). Deswegen kann der Verstärker an einigen Boxen ein unausgewogenes Klangbild ergeben. Der Klirr verhält sich in ordentlichen Bahnen, ist also nichts auszusetzen.


Der Frequenz- und Phasengang am Messwiderstand:


Frequenzgang-R


Frequenz- und Phasengang am 8-Ohm-Testlautsprecher (Hinweis: der Verstärker ist für 4 Ohm):


Frequenzgang-L


Klirrfaktor am Messwiderstand:


Klirrfaktor


Klirrspektrum am Messwiderstand:


Klirrspektrum